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Weihnachtsbrief der Großballei

Wir sind am Ende eines Kirchenjahres. Morgen, mit dem ersten Advent, beginnt ein neues. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zum Leben ...“ (Herrmann Hesse). Auch der Adventszeit, der Zeit vor Weihnachten, und erst recht den eigentlichen Weihnachtstagen, wohnt ein gewisser Zauber inne, der uns hilft, uns helfen kann, zum Leben. Das haben wir vermutlich schon beim ersten Lied gespürt, das wir vorhin gesungen haben: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit“. Erinnerungen werden wach. Bilder tauchen auf, die längst versunken waren, und schlagen eine Brücke vom längst Vergangenen zur Gegenwart, ins Heute, und geben Kraft und Mut für unseren Weg ins Morgen, für das, was vor uns liegt, für unseren Weg in das noch unbekannte, teils verlockende und teils bedrohliche, auf jeden Fall aber in ein verheißenes, gelobtes Land, in unser Leben, in das, was kommen wird, was auf uns zukommt, unsere Zukunft.

Darauf will uns die Adventszeit einstimmen, auf diesen Weg, der vor uns liegt, auf diese Zuversicht im Angesicht des Unbekannten, auf dieses Zutrauen zu dem ganz Unscheinbaren, eigentlich noch Unsichtbaren, auf das noch Ausstehende, erst Kommende, und doch schon Gegenwärtige, bereits Gekommene, auf dieses Zutrauen zum kommenden Reich Gottes, zur Menschwerdung des unfassbaren Gottes, zur Fleischwerdung des Wortes, seines Wortes, zu diesem Krippenkind im Stall von Bethlehem. Unter den Weihnachtsliedern ist mir eins besonders lieb geworden. Ein Lied von Paul Gerhardt, dem großen Liederdichter unserer Kirche: „Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben“ (EG 37). Da heißt es in der vierten Strophe: „Ich sehe dich mit Freuden an und kann nicht mich nicht satt sehen. Und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen!“

Wir können es nicht fassen. Es ist ganz einfach nicht zu fassen, dass die Rettung dieser Welt, das Heil der Welt, da draußen liegt, auf Heu und Stroh, dem Wetter, allen Wettern, ausgesetzt, den Launen, der Gewalt der Mächtigen, dem blinden Spiel des Schicksals. Es ist ganz einfach nicht zu fassen, dass es nicht in unsern Händen liegt, uns anvertraut, der Krone der Schöpfung. Es ist ganz einfach nicht zu fassen, dass die Rettung dieser Welt, das Heil der Welt, nicht unserem Verstand, nicht unserm guten Willen, nicht den Banken und Konzernen, nicht den Parlamenten und nicht den Präsidenten und auch nicht ihren Wirtschaftsweisen anvertraut ist, sondern dem Fleisch gewordenen und immer wieder neu Fleisch werdenden Wort Gottes. Ja, „er kommt auch noch heute und lehret die Leute“, wie es in einem Adventslied der Böhmischen Brüder heißt (EG 5). Er kommt auch noch heute. Gott sei Dank. Wir sind nicht uns selber überlassen. "Wir sind nicht von Gott verlassen. Nicht „gott-los“. Auch wenn es immer wieder mal so scheint. Die Rettung schlummert im Verborgenen, im Unscheinbaren, Unsichtbaren. Oder besser, treffender gesagt, mit einem Psalm der Bibel: „Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht.“ (Ps 121,5). Er ist Mensch geworden. Er ist mitten unter uns. Sein Wort, sein Geist, ist mitten unter uns.

Uns darauf einzustimmen, feiern wir Advent. Uns wieder neu auf diese Sicht der Dinge einzustimmen, feiern wir Advent. Und dabei sollten wir uns absolut nicht scheuen, zurück zu blicken auf den zurück gelegten Weg, auf das vergangene Jahr mit allen seinen Turbulenzen, mit seinen Hiobsbotschaften, mit seinen schlechten und mit seinen guten Nachrichten. Es gab ja, Gott sei Dank, nicht nur das Eine, sondern auch das Andere. Mehr als anderthalb Millionen Flüchtlinge hat Deutschland mittlerweile aufgenommen. Eine beängstigende Nachricht. Wer wollte das bestreiten? Und doch kein Grund zur Panik. Nicht weil die Willkommenskultur in unserem Land so ganz hervorragend entwickelt wäre. Nicht weil Deutschland wirtschaftlich so stark wäre, dass wir auch das noch schaffen, noch verkraften könnten. Sondern weil wir damit nicht alleingelassen sind. Weil Gott uns damit nicht alleine lässt. Weil sein Geist in unserer Mitte ist und unsern Geist und unser Herz bewegt und „unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet“, wie es im Lobgesang des Zacharias heißt, im Lukas-Evangelium (1,68ff), im Predigttext für den 1. Advent. Wer, wenn nicht wir, die Christen, die sich auf Christus, auf den „Menschensohn“ berufen und in seinem Sinn, in seinem Geiste leben wollen, wer, wenn nicht wir, sollte diese Sicht der Dinge vorleben und alle Panikmache als das entlarven, was sie ist: Unglaube, ein Werk des Teufels, geistlos, gottlos.

Ich schließe mit einem Adventslied von Paul Gerhardt. Manch einer wird es kennen und im Geiste mitsingen, mitbeten.

 

„Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir,

o aller Welt Verlangen, o meiner Seelen Zier?

O Jesu, Jesu, setze mir selbst die Fackel bei,

damit, was dich ergötze, mir kund und wissend sei.

Dein Zion streut dir Palmen und grüne Zweige hin,

und ich will dir in Psalmen ermuntern meinen Sinn.

Mein Herze soll dir grünen in stetem Lob und Preis

und deinem Namen dienen, so gut es kann und weiß.“ (EG 11)

 

Pfarrer i.R. Ulrich Hollop, Berlin

Pfr. Ulrich Hollop hat als Gastpfarrer die Kommende Berlin-Brandenburg beim diesjährigen Weihnachts-Jourfixe in der Kirche St. Peter und Paul zu Nikolskoe begleitet.In Abstimmung mit dem Generalkaplan Pfr. Klaus Buhl übersenden wir seine Besinnung als Weihnachtsgruß der Großballei.